Gewaltfreiheit wirkt
Gewaltfreier Widerstand führt meist zu weniger Opfern und Leid als gewaltvolle Auseinandersetzungen. Gewaltvolle Auseinandersetzungen sähen Hass und spalten Gesellschaften, so dass Zusammenleben und Versöhnung auch nach dem Ende der Gewalt schwierig bis unerreichbar sind. Doch noch ein weiteres, pragmatischeres Argument spricht für die gewaltfreie Alternative: Studien zeigen, dass gewaltfreie Aufstände in der Regel wirksamer sind als gewaltvolle.
Warum ziviler Widerstand funktioniert: Die strategische Logik gewaltfreier Konflikte
Die US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen Erica Chenoweth und Maria Stephan haben 2011 ihre Studie "Why Civil Resistance Works: The Strategic Logic of Nonviolent Conflict" veröffentlicht. In dieser haben die beiden über 300 weltweite Konflikte untersucht, die zwischen 1900 und 2006 stattfanden.
Das Fazit der beiden Wissenschaftlerinnen war: Gewaltfreie Aufstände haben nahezu doppelt so oft zu einem Erfolg geführt wie bewaffnete. Entgegen der weitverbreiteten Annahme, dass Gewalt als notwendiges Übel das letzte Mittel – also ultima ratio – sei, um einen Konflikt für sich zu entscheiden, zeigt die Studie also genau das Gegenteil.
In der neueren Studie "The Future of Nonviolent Resistance" von 2020 stellt Erica Chenoweth fest, dass der Erfolg von gewaltfreien Revolutionen insgesamt in den letzten Jahren abgenommen hat. Der Erfolg von gewaltvollen Aufständen ging allerdings noch stärker zurück, sodass seit 2010 gewaltfreie Aufstände 4-mal häufiger erfolgreich waren als gewaltvolle.
Video "Die Erfolgschancen aktiver Gewaltfreiheit"
Wie Freiheit gewonnen wird: Vom zivilen Widerstand zur dauerhaften Demokratie
Die Organisation Freedom House identifiziert in ihrer Studie "How Freedom is Won: From Civic Resistance to Durable Democracy" [PDF-Download] gewaltfreien Widerstand als Schlüsselfaktor in 50 von 67 Transformationen autoritärer Staaten zwischen 1972 und 2005. Die Studie zeigt außerdem, dass die Präsenz einer breiten zivilen Widerstandsbewegung in den Jahren nach einem Regimewechsel entscheidend für die Bewahrung von Demokratie und Freiheiten ist.
Strategische Argumente für Gewaltfreiheit
Die Studien identifizieren verschiedene Gründe, warum gewaltfreier Widerstand effektiver ist als gewaltvoller:
- Gewaltfreie Aktionsformen bieten breite Partizipationsmöglichkeiten und machen eine Massenmobilisierung leichter möglich als gewaltvolle Alternativen. Dadurch können sich möglichst viele Akteur*innen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zusammenfinden, was es bestehenden Regimen erschwert, Repressionen aufrechtzuerhalten.
- Gewaltfeie Aktionen stoßen auf mehr Sympathie und Verständnis innerhalb der Bevölkerung und können damit die Unterstützung für die Gegenseite untergraben, einschließlich der Loyalität ihrer bewaffneten Verteidiger*innen.
- Gewaltfreier Widerstand reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass die Gegenseite Gewalt anwendet. Wenn sie es doch tut, ist es für die Gegenseite schwieriger, die Gewalt zu rechtfertigen, sodass sie Legitimität innerhalb der Bevölkerung und der Internationalen Gemeinschaft verliert.
- Die Organisation von gewaltfreien Bewegungen über einen längeren Zeitraum fördert Vertrauen, strategische Planung und partizipative Entscheidungsstrukturen. Aktive aus der Bewegung können diese Erfahrungen nutzen, um den gesellschaftspolitischen Wandel in diversen Funktonen mit umzusetzen.