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Martha Inés Romero über Ressourcenkonflikte in Lateinamerika

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Demonstration für Menschenrechtsverteidiger in Chiapas, Mexiko

Ein Gespräch mit Martha Inés Romero – der Präsidentin von pax christi International – über die Bedrohung durch rohstoffextrahierende Industrien in Lateinamerika, die Rolle der Frauen und den Kampf der Indigenen für den Schutz ihres angestammten Landes.

 

Ressourcenkonflikte in Kolumbien

Kannst du kurz zusammenfassen, was die wichtigsten Themen oder Konflikte sind, mit denen sich pax christi heute in Kolumbien beschäftigt?

Es geht heute darum, mit den Opfern von Gewalt zu arbeiten, um Wiedergutmachung, um das Erzählen von Geschichten und um Trauma-Heilung. Darauf konzentrieren sich die Partner in Kolumbien. Andere arbeiten auf der Grundlage von Laudato Si im Bereich der sozialen und gerechten Entwicklung aus einer ökologischen Perspektive, um das Land vor der Zerstörung durch rohstoffextrahierende Unternehmen zu schützen. Das ist ein Fall in Kolumbien und anderen 6 Ländern in der Region.

Es geht also um die Verteidigung von Land und um Umweltschutz. Wer reißt das Land an sich? Sind es große internationale oder lokale Unternehmen?

Die meisten von ihnen sind internationale Konzerne, einige aus Kanada, Südafrika, China und anderen Ländern. Wir haben eine Arbeitsgruppe, in der wir uns mit den Landkonflikten und den Problemen der Umweltverschmutzung auseinandersetzen, die durch diese multinationalen Konzerne verursacht werden. Wir treffen uns alle zwei Monate, um Informationen auszutauschen, um mehr über den Kontext zu erfahren und Kampagnen zu planen. Wir analysieren den Kontext um den Konflikt besser zu verstehen. Wir schauen uns an, wer die Akteure sind in einem Konflikt – einem Konflikt auf lokaler, nationaler oder globaler Ebene. Wir nutzen unsere Netzwerke und machen Lobbyarbeit auf nationaler und internationaler Ebene um vor Ort unsere Gemeinschaften zu stärken. Im Moment setzen wir die Kampagne "Water for life" um. Im letzten März gab es in New York eine große Konferenz zum Thema Wasser, wir waren dort um uns für die Rechte unserer Gemeinden einzusetzen, denn große Unternehmen verschmutzen das Wasser und die Umwelt und beeinträchtigen damit sehr das Leben der Menschen.

Welche sind die Rohstoffe, um die es in der Region geht?

In diesem Zusammenhang geht es hauptsächlich um den Abbau von Gold, Kupfer und Koltan. In Chile, Bolivien und Argentinien gibt es die Hauptquelle von Lithium, diese Region wird als das Lithium-Dreieck bezeichnet. Den größten Kohleabbau gibt es in Kolumbien. Das ist das Thema, an dem die Kommission "Solidarität Eine Welt" und andere Gruppen arbeiten und sich bei der deutschen Regierung dafür einsetzen, dass sie die Kohle aus der Region Laguahida nicht kauft, weil der Kohleabbau die indigene Bevölkerung stark schädigt. Dies ist also die Art von Verbindungen, die wir zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden fördern. Und wir setzen uns auf globaler Ebene als pax christi International mit einigen unserer Mitglieder bei der Europäischen Union für ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ein, oder bei den Vereinten Nationen für einen verbindlichen Vertrag über Wirtschaft und Menschenrechte. Bisher gibt es kein verbindliches Abkommen, sondern nur UN-Prinzipien, die Unternehmen oder Regierungen jedoch nicht verbindlich in die Pflicht nehmen. Neben dem Bergbau ist es die Agrarindustrie, welche für Abholzungen im Amazonasgebiet verantwortlich ist, um Palmöl oder Avocado anzubauen. Dabei handelt es sich um eine Agrarindustrie, in der viele Pestizide eingesetzt werden, nicht um nachhaltige Landwirtschaft.

 

Demonstration gegen den Maya-Zug – ein großes Infrastrukturprojekt in Chaipas, Mexiko
Demonstration gegen den Maya-Zug – ein großes Infrastrukturprojekt in Chaipas, Mexiko

Es klingt, als ob die Arbeit von pax christi in Kolumbien und vielleicht in ganz Lateinamerika auch der Klimabewegung nahesteht.

Ja, grundsätzlich schon. Wir als pax christi International sind aber vor allem Teil der Laudato Si-Bewegung. Wir verbinden uns mit der Bewegung und anderen wichtigen Netzwerken auf der ganzen Welt, die sich für den Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen einsetzen.

Kannst du mir ein wenig über die Laudato Si-Bewegung erzählen?

Laudato Si ist eine Enzyklika, die Papst Franziskus vor 10 Jahren verfasst hat. Es ist also ein wertvolles Werk oder ein Fahrplan, ökologische Gerechtigkeit in den Blick zu nehmen. Es schaut auf Umweltschutz und Menschenrechte, vor allem von Indigenen und anderen Gemeinschaften aus einer katholischen Perspektive. Laudato Si ist also unser Licht für den Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen aus einem glaubensbasierten Ansatz heraus. Und es gibt eine weitere Enzyklika: Fratelli Tutti, sie befasst sich mit dem Frieden. Sie wurde vor drei Jahren während der Pandemie verfasst und ist ein Dokument für Friedenskonsolidierung und gesellschaftlichen Wandel.

Mit welchen Gruppen arbeitet ihr in der Region zusammen?

Wir arbeiten zum Beispiel mit dem Kirchen- und Bergbau-Netzwerk zusammen. Es ist ein Netzwerk, das Inhalte des christlichen Glaubens in seine Arbeit  einbezieht. Es gehören verschiedene Kirchen dazu, auch traditionelle, ökospirituelle, indigene und synkretistische Kirchen. Bei den Ritualen der Indigenen geht es viel um die Bewahrung der Schöpfung, andere sind im Einklang mit dem katholischen Glauben, wie zum Beispiel einige Indigene in Mexiko, in der Region Tarahumara. Wir setzen uns im globalen Norden als Kirchen- und Bergbau-Netzwerk dafür ein, dass Gemeinden und Diözesen nicht in Unternehmen oder Banken investieren, die die Menschenrechte mißachten. In Österreich gibt es in diesem Zusammenhang eine Initiative, die die Verwendung von Gold in der Liturgie in Frage stellt, denn Jesus Christus hat bei diesem letzten Abendmahl kein Gold in der Liturgie verwendet, sondern eine Art von Keramik. Wie kam also dieser Luxus in die Messe? Wir müssen in diesem Punkt vorsichtig und mutig sein.

Das ist also die Advocacy-Arbeit. Was bedeutet das für die Menschen in den lokalen Gebieten, protestieren sie auch, rufen sie zu Demonstrationen auf? Wie sieht der Kampf vor Ort aus und ist es möglich, ihn gewaltfrei zu führen?

Ja. Es gibt viele Herausforderungen für sie. An einigen Orten, nicht nur in Kolumbien, sondern auch in Mexiko, Guatemala oder El Salvador, haben einige Gemeinden, begleitet von unseren Partnern im Land, ihre Strategie geändert. In Guatemala zum Beispiel können sie nicht über Menschenrechte sprechen, weil Paramilitärs eng mit den Minenbesitzern zusammenhängen, das ist ein großes Problem. Sie haben also ihre Vorgehensweise geändert und sprechen nicht mehr von Menschenrechten, sondern von einer Kultur des Friedens. Wir müssen uns also für eine Kultur des Friedens in dieser Gemeinschaft einsetzen. Die Bewältigung von familiären Spannungen oder Konflikten usw. wird so zu einer Möglichkeit, zusammenzukommen und weiterzuarbeiten, nachzudenken und Widerstand zu leisten, denn die Menschenrechte sind dort ein großes Problem. Es gibt viele Bedrohungen für Menschenrechts-, Umwelt-, oder indigene Aktivisten, immer wieder werden Menschen inhaftiert.

 

Menschenrechtsverteidiger, Chiapas Mexiko
Menschenrechtsverteidiger in Chiapas, Mexiko

Was sind die Strategien der sozialen Bewegungen unter diesen Umständen?

Um zusammen zu kommen werden zum Beispiel Mahnwachen für den Frieden organisiert, oder eine Wallfahrt von einem Ort zum anderen, um für den Frieden zu beten, um zur Jungfrau zu beten. Das sind Wege, um zusammen zu sein, was ansonsten schwierig und risikoreich zu organisieren ist. Es gibt zum Beispiel einen Priester in Mexiko, er ist vielen Bedrohungen ausgesetzt, weil er Messen, Mahnwachen oder Pilgerfahrten mit Indigenen organisiert – Zusammenkünfte, bei denen sich Menschen verbinden und gegenseitig stärken und für einen Moment dem Druck äußerer Akteure wie dem Militär entkommen können.

Gibt es irgendetwas, das du in der nächsten Zeit siehst, das mehr Aufmerksamkeit braucht, dem noch nicht genug Beachtung geschenkt wird?

Ich würde sagen Klimagerechtigkeit, weil sie mit dem System verbunden ist, das auch die Ressourcen im Süden verwaltet, mit dem Bergbau und der Agrarindustrie. Ich erinnere mich, dass ein Bischof anfänglich zu mir sagte, ihr seid doch eine Friedensbewegung, ihr seid keine Umweltbewegung. Meiner Meinung nach hängen diese zusammen. Papst Franziskus sagte in Laudato Si: "Es ist nicht nur eine ökologische Krise, es ist eine soziale und ökologische Krise." Es gibt also einen Zusammenhang mit unserer Aufgabe, unseren Pflichten als Christen zu handeln. Wir sehen das Brot und viele andere Dinge teurer werden, weil auch Lateinamerika Gas und Getreide aus der Ukraine bezieht. Wir sind also eng miteinander verbunden und Klimagerechtigkeit ist sehr wichtig für das Überleben der Welt und der Menschheit, auch um Konflikte zu vermeiden, denn es wird viele Konflikte geben. Wir wissen, dass viele Menschen, zum Beispiel in Honduras oder in Mexiko, in die USA auswandern, weil sie keinen Mais mehr anbauen können. Sie können keine Nahrungsmittel mehr produzieren, also müssen sie weg. Die Klimakrise ist ein Problem. Der illegale Waffenhandel und die illegale Produktion von Waffen sind weitere Probleme.

Die Rolle der Indigenen

Welche Rolle spielen die indigenen Völker in Kolumbien und anderen lateinamerikanischen Ländern heute?

Es ist mehr als 50 Jahre her, dass sie ihren Kampf begonnen haben. Davor galten sie nur als Bauern, Campesinos, sie hatten nicht die Identität eines indigenen Volkes, weil die Spanier sie nicht anerkannten. So begann der Kampf in den 1970er Jahren als ein Kampf der Bauern zusammen mit anderen Gruppen für eine Landreform. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen sie ihr Selbstverständnis zu ändern: „Nein, wir sind keine Campesinos, wir sind Indigene.“ Und dann haben sie beispielsweise angefangen, ihre Sprache aufzubauen. Sie haben ihre Sprache bewahrt, aber es war keine Schriftsprache. Also begannen sie mit Anthropologie und Linguistik, um ihre eigene Sprache zu entwickeln. Die Indigenen sind heute sehr stark in Kolumbien, auch die Menschen afrikanischer Abstammung - sie sind eine Minderheit in Kolumbien. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir jetzt einen Vizepräsidenten haben, der afrikanischer Abstammung ist. Unser Präsident [Anmerkung der Redaktion: Gustavo Petro wurde im Juni 2022 zum Präsidenten gewähl] ist ein ehemaliger Guerilla, der den gewaltsamen Kampf vor mehr als 30 Jahren aufgegeben hat, er ist ein Linker. Unsere Vizepräsidentin [Anmerkung der Redaktion: Francia Márquez wurde im Juni 2022 zur Vizepräsidentin gewählt] ist eine Frau aus einer Bergbauregion, die auch im Bergbau tätig war. Sie begann als Anführerin einer Initiative gegen einen großen Staudamm.

Die Rolle der Frauen in Lateinamerika

Welche Rolle spielen die Frauen in den notwendigen Veränderungen heute in Kolumbien?

Wir leben in einem patriarchalen System, vor einiger Zeit war es für Frauen zum Beispiel unmöglich, einen Landtitel in ihrem Namen zu bekommen. Inzwischen sind wir weiter fortgeschritten, aber es ist immer noch ein patriarchales System und Frauen sind in vielen Bereichen immer noch ausgeschlossen oder benachteiligt, wie beispielsweise wenn es um Gehalt geht. Innerhalb der Kirche setzen sich Theologinnen für mehr Gleichberechtigung ein. Es gibt Frauengruppen, die sich für die Bewahrung der Schöpfung engagieren, für Umweltschutz. Sie beginnen mit dem eigenen Körper als dem ersten Ort des Friedens und denken nach über weiblichen Selbstwert, weibliche Identität, Frauen in Führungsrollen und über Selbstverteidigung.  Wir als pax christi fördern auch politische Maßnahmen, die Frauen stärken sollen, stellen aber fest, dass das häufig nicht ausreicht. Es müssen sich auch Einstellungen und Wahrnehmungen verändern, um die Kultur, in der Frauen unter Männern stehen, zu ändern. Dafür versuchen wir zu sensibilisieren. In unserer Theorie des Wandels haben wir vier Dimensionen identifiziert: die erste Dimension sind die persönlichen Fragen. Die Enzyklika Laudato Si sagt zum Beispiel, dass wir das System nicht ändern können. Papst Franziskus sagt, dass das neoliberale System nicht gut funktioniert, wir müssen also auf der persönlichen Ebene Dinge ändern: die eigene Art des Konsums, die Kleidung, das Essen, die kulturelle Lebensweise - das ist also das Persönliche. Das Zweite ist das Zwischenmenschliche, wir müssen kollektiv arbeiten, sonst ist es ziemlich schwierig, die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft zu verändern. Der dritte Bereich ist strukturell. Strukturell meint hier den Bereich von Gesetzen und Politik, öffentliche Maßnahmen usw., aber sie reichen nicht aus. Es reicht nicht aus, dass sich Frauen ihres Körpers, ihrer Rolle und ihres Selbstwertes bewusst sind. Damit wirklich Wandel geschieht und politische Maßnahmen auch umgesetzt werden, braucht es die vierte Dimension, die kulturelle Dimension.  Diese bezieht sich auf Verhalten und die eigene Wahrnehmung, diese Dimension entsteht in den Familien. Wir arbeiten also in diesen vier Dimensionen und versuchen so die Verhältnisse und die Gemeinschaften zu verändern und umzugestalten.

Gibt es auch Unterstützung von Männern, von Familien und von traditionelleren Strukturen?

Ja es gibt Unterstützung. Wir organisieren aber einige Aktivitäten nur für Frauen, weil wir glauben, dass sie ihren eigenen Raum brauchen, um nachzudenken ohne kritisiert zu werden, und es gibt gemischte Aktivitäten. Was mir nach über 40 Jahren Arbeit im sozialen Bereich auffällt ist, dass wir zwar die Führungsqualitäten von Frauen fördern, zu größeren nationalen oder internationalen Versammlungen aber trotzdem die Männer geschickt werden. Wir laden zu diesen Treffen nun explizit eine Frau und einen Mann als Vertretung lokaler Gemeinden ein.

Was braucht die pax christi Bewegung?

Auch hier denke ich an Narrative – an die gelebten Geschichten der Mitglieder. Es gibt Erzählungen über den Frieden, es gibt Erzählungen über den Krieg. Menschen können eine schwierige Situation aus einer Friedensperspektive besser bewältigen. Die Frage ist also auch immer: welche Geschichten erzählen wir uns über unsere aktuelle Situation – über den Krieg und über die neuen Bedrohungen, die uns umgeben? Aus welcher Art von Geschichte ziehen wir Weisheit und finden Handlungsanleitungen, um mit den Dingen umzugehen? An diesen Geschichten können junge und alte Menschen zusammenarbeiten, wobei nicht einer den anderen belehrt, sondern es einen Dialog gibt. Es erfordert viel Respekt von den alten Leuten gegenüber den jungen Leuten, weil die Älteren manchmal meinen, sie könnten nichts von den jungen Leute lernen. Aber auch andersherum, weil auch manchmal die jungen Leute sagen "Ach, diese alten Leute leben nur in der Vergangenheit". Wir müssen mit aktivem Zuhören ein respektvolles Umfeld schaffen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Das Gespräch führte Esther Mydla, Projektreferentin bei pax christi – Deutsche Sektion e.V.

 

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