
Menschenwürde als Schlüsselfaktor für Frieden und Gerechtigkeit
Herausforderungen für pax christi in Flandern
Annemarie Gielen
pax christi Flandern ist eine der sechs großen Sektionen der internationalen pax christi-Bewegung. Das mag überraschen, denn Flandern ist nur eine kleine Region in Europa. Wie ist die flämische Sektion so groß geworden? Was sind die Themen, mit denen sich pax christi Flandern beschäftigt? Was sind die Herausforderungen, denen wir uns stellen? Annemarie Gielen, Generalsekretärin von pax christi Flandern, gibt die Antworten.
Einer der großen Vorteile der Situation in Flandern ist, dass die flämische Regierung strukturelle Mittel für Organisationen zur Verfügung stellt, die das Bewusstsein für gesellschaftliche Themen schärfen. Die staatliche Finanzierung zielt darauf ab, Menschen zu aktiven Bürger*innen der Gesellschaft zu machen, indem sie die Arbeit von Bewegungen und Organisationen vernetzt und fördert. Diese Finanzierung eröffnete pax christi Flandern seit Ende der achtziger Jahre viele Möglichkeiten.
Unsere Bewegung hat ein Büro im Zentrum Antwerpens, im Klostergebäude der Friars Minor (Kapuziner). Es hat einen schönen Garten und liegt in der Nähe des Hauptbahnhofs, ein toller Platz! Wir beschäftigen sieben Personen, haben mehrere Freiwillige, die einmal die Woche arbeiten, und zwei studentische Praktikant*innen. Zu pax christi Flandern gehören aktuell etwa 1.200 Mitglieder und vom Westen bis zum Osten Flanderns sind sechs lokale Gruppen aktiv.
„Wir müssen handeln“
In den letzten Jahren fürchteten wir, die staatliche Förderung zu verlieren, da eine Prüfungskommission unsere Arbeit als nicht strategisch genug bewertete: zu viele lose Enden, nicht genug wirkungsorientiert. Das Risiko, unsere stabile Finanzierung zu verlieren, erschütterte unsere Bewegung stark, und wir bereiteten uns auf ein Worst-Case-Szenario vor. Gleichzeitig investierten wir in eine tiefgreifende Analyse. Basierend auf dieser Analyse arbeiteten wir an einem strategischen Plan: Was genau wollen wir bewirken? Das war für ‚Leute wie uns’, die die Welt verbessern wollen, nicht leicht! Wenn es einen neuen Konflikt oder einen neuen Fall von Ungerechtigkeit gibt, bringen unsere Freiwilligen und Mitarbeiter*innen es auf den Tisch: Wir müssen handeln! Wir müssen einen Brief schreiben! Wir müssen etwas tun! Sie kennen das wahrscheinlich. Um uns die Entscheidung zu erleichtern, haben wir ein mehrschichtiges Bild entworfen, das uns helfen soll, zu entscheiden, was zu tun ist.
Eine der Stärken unserer Besonderheit als Friedensorganisation mit katholischen Wurzeln, ist unser spirituelles Fundament. Heute, in Zeiten großer Unsicherheit, spüren wir deutlich, wie wichtig es ist, eine Geschichte zu haben, einen Kompass, einen Rahmen, der Orientierung gibt. In unserer säkularen Gesellschaft sehen wir ein wachsendes Bedürfnis nach spiritueller Nahrung, nach spirituellen Antworten auf komplexe Fragen und so nutzen wir diese Kraft, um Menschen in ihrer Suche nach Halt und Verständnis zu unterstützen. Eine moralische Haltung einzunehmen ist nicht immer einfach. Nehmen wir zum Beispiel die Frage der Atomwaffen. Unzählige Male hörten wir, dass wir nicht nur naiv, sondern sogar furchtbar gefährlich sind. Aber wir wiederholen immer wieder, dass der Einsatz von Atomwaffen verheerend für die Menschheit und den Planeten ist und dass auch die bloße Drohung sie einzusetzen, unmoralisch ist. Die Doktrin der Abschreckung löst keinen Streit zwischen den Nationen. Es ist naiv zu glauben, dass Atomwaffen mehr Sicherheit bringen, und noch naiver zu glauben, dass sie helfen, Konflikte zu lösen. Deshalb hat pax christi Flandern die Abschaffung von Atomwaffen zu einem Schwerpunkt des Engagements für Sicherheit und Abrüstung gemacht. So sind wir sehr froh, dass wir am 22. Januar die Ächtung von Atomwaffen feiern konnten, weil der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen in Kraft getreten ist. Natürlich haben wir, genau wie in Deutschland, noch einen Weg vor uns, bevor die amerikanischen Raketen wirklich unseren Boden verlassen, aber wir bleiben dran!
Wir teilen die gleichen Werte
In unserem Land sind wir auch mit Spannungen konfrontiert, die in der Angst der Menschen wurzeln, ihre Identität und die Art und Weise wie sie ihr Leben zu leben gewohnt sind zu verlieren, Arbeitsplätze und die Sicherheit zu verlieren, die unser Sozial- und Gesundheitssystem bietet. Deshalb investieren wir darin, unsere Gesellschaft inklusiver zu machen. Das ist in Zeiten der COVID-19-Pandemie nicht einfach, weil viele Menschen nicht erreicht werden können. Aber die Online- Aktivitäten bringen lebhafte Diskussionen auf Facebook, vor allem durch bezahlte Anzeigen, die wir schalten. Vor der Pandemie und ein wenig zwischen den Lockdowns haben wir mit Asylbewerber*innen und Menschen ohne festen Aufenthaltsstatus gearbeitet: Wir haben ihr Leben mit der Methode des Theaters der Unterdrückten sichtbar gemacht und diesen Menschen eine Stimme gegeben. Natürlich ohne die Stimmen der anderen Menschen zu ignorieren, die kamen, um die Stücke zu sehen und die während der Diskussion und des Nachspielens des Theaterstücks aktiv eingreifen konnten. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie wir Menschen zusammenbringen, um mehr über dieses Thema zu erfahren und eine Diskussion darüber zu führen.
Die pax christi-Familie handelt weltweit auf unterschiedliche Weise gegen Ungerechtigkeit, aber wir alle teilen die gleichen Werte. Wie der Mitbegründer Mgr. Théas es in seinem Hirtenbrief im August 1942 schrieb, ist die Menschenwürde eines der wesentlichsten Rechte des Menschen. Seit 75 Jahren fördern wir die Menschenwürde als Schlüsselfaktor für nachhaltigen Frieden und Gerechtigkeit. Ich gratuliere auch Ihnen allen zu diesem Jubiläum! Und möge der Geist der Gründung von pax christi uns mit Feuer und Begeisterung erfüllen, um weiterzumachen.
Annemarie Gielen ist seit 2012 Generalsekretärin von pax christi Flandern.