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Elizabeth Kanini Kimau

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Massai in Kenia

Gemeindearbeit zur Reduzierung von Gewalt in Kenia

Wie die Kraft der Gewaltfreiheit ganzheitliche Wandlungsprozesse anstößt

Kenia, ein wunderschönes Land, gelegen im Nordosten Afrikas mit 49,8 Millionen Einwohner*innen, ist im globalen Norden für seine artenreiche Savanne, seine traumhaften Küsten, den Mount Kenia und eine bezaubernde Seenlandschaft bekannt. Der Süden und Osten des seit 1963 von der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien unabhängigen Landes mit der Hauptstadt Nairobi erfreute sich auch wegen des Tourismus einer guten Stabilität. Der Tourismus ist allerdings infolge der Corona- Pandemie eingebrochen. Zudem leidet das Land extrem unter den Folgen der Klimakrise: Die Dürren werden häufiger, halten länger an und der lang ersehnte Regen geht, wenn er endlich kommt, in gefährlichen Sturzfluten nieder. Die aktuelle Dürre hat zu einem Ernterückgang von 70 Prozent geführt, weshalb die Regierung den nationalen Katastrophenzustand ausgerufen hat. Verschärft wird die Situation dadurch, dass die Getreideeinfuhren aus der Ukraine infolge des dortigen Krieges rückläufig sind und der globale Weizenpreis steigt. Schon jetzt leiden 3,1 Millionen Menschen unter akutem Hunger und benötigen dringend Hilfe. Fast die Hälfte aller Haushalte in Kenia muss sich Lebensmittel leihen oder auf Kredit kaufen.

Im Norden Kenias ist die Lage schon lange von sich zuspitzenden Konflikten zwischen verschiedenen Gruppen geprägt, die infolge des Klimawandels in Konflikt um knapper werdendes Weideland und um Wasserstellen geraten. Infolge dessen werden viele Menschen zu Vertriebenen im eigenen Land. Dieser Problematik nahm sich Elisabeth Kanini Kimau an, nachdem sie zunächst am Versöhnungs-Friedensinstitut (Resource Centre for Civil Leadership) im Sudan gearbeitet hatte, das seinerseits bereits 2003 vom New Sudan Council of Churches gegründet worden war.1

Die Expertin für Friedensforschung, Konflikttransformation und Traumaheilung zog nach Nordkenia, um dort in Leyai in einem Lager mit Binnenflüchtlingen zu arbeiten und Methoden der gewaltfreien Konfliktbearbeitung bekannt zu machen und mit den Menschen zu trainieren. Hier waren zwischen 2009 und 2012 mehr als 14 Menschen auf der Straße getötet worden, darunter Schulkinder.

In dem Lager lebten Menschen der verfeindeten Rendille- und Borona-Gemeinschaften schon so lange zusammen, dass manche inzwischen Erwachsene nichts anderes kannten als ein Leben im Lager. Die Straßen um das Lager waren von Bewaffneten der beiden Gruppen besetzt. Die Feindschaften hatten sich so verfestigt, dass es nur noch Kontakte in die je eigene Community gab und diejenigen, die einen Feind aus der je anderen Gemeinschaft töteten, als Helden gefeiert wurden. Wie können Menschen zu so brutalen Racheakten greifen und wie kommt es, dass sie auch noch dafür bejubelt werden? Kanini berichtet, dass sie Zeugin von Situationen wurde, in denen Menschen getötet und Vieh geraubt wurde. Der Schmerz über den Verlust, Bitterkeit und Wut würden nach geübter Rache häufig als leichter empfunden, berichtet die Friedensforscherin.

In dieser Situation setzte Kanini verschiedene Arten von blockierenden gewaltfreien Praktiken ein, um Zyklen der von Gewohnheiten der Gewalt zu durchbrechen. Dabei brachte sie sich selbst ein und brach Verhaltensweisen ab, die als normal angesehen wurden. Die Zusammenarbeit mit der katholischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden und einem Ortsgeistlichen erleichterte es ihr, Vertrauen zwischen sich und den im Konflikt miteinander stehenden Gemeinschaften aufzubauen. Beide Seiten trainierte sie in gewaltfreier Kommunikation, wobei sie sich auf die Ältesten der Gemeinschaften konzentrierte. Diese holte sie aus der unmittelbaren Konfliktzone heraus. In Gesprächen untereinander konnten sie Vertrauen aufbauen und im zweiten Schritt ihrerseits die jungen kriegerischen Männer ihrer je eigenen Gemeinschaft erreichen, die sich daran gewöhnt hatten, ihre aussichtslose Lage etwa durch Viehraub zu beheben und auf diese Weise die Anerkennung ihrer Altersgenossen zu gewinnen. Nun wurde eine Jugendarbeit aufgebaut, die darauf zielte, die Interaktionen zwischen den Rendille- und Borana-Jugendlichen durch Sport und Partys zu fördern und auf diesem Weg Beziehungen und Freundschaften untereinander zu ermöglichen. Der dritte Schritt bestand darin, dass Justizsystem dahingehend zu reformieren, dass Kriminelle ohne Rücksicht auf ihre jeweilige Gruppenzugehörigkeit bestraft wurden.

Nach 8 bis 10 Jahren zeigten sich signifikante Veränderungen in der Gemeinschaft: Die Menschen beider Gruppen hatten es gewagt, in ihre Dörfer zurückzukehren und wieder landwirtschaftlich tätig zu sein. In Streitfällen gingen die Ältesten als Vermittler von Dorf zu Dorf und ermutigten die Leute, miteinander zu sprechen, bevor der Streit in Gewalt eskalierte. Es wurden weniger Menschen getötet, insgesamt nahm die Gewalt deutlich ab und eine Gemeinschaft half der anderen, als in deren Gegend eine Dürre eintrat, indem sie 5000 Kilo Mais spendete. Die wieder gewonnene Ernährungssouveränität wurde offfenbar direkt genutzt, um durch einen Akt der Solidarität die Freundschaft zu einer benachbarten Gemeinschaft wiederherzustellen oder zu vertiefen.

In einem Umfeld von unorganisierter, bewaffneter, kommunaler Gewalt, in dem es für viele Menschen unmöglich geworden war, Landwirtschaft zu betreiben, führte die von Elisabeth Kanini eingeführte Praxis der Gewaltfreiheit zu einer Minderung der tödlichen Überfälle und zu dem Grundgefühl, der Gewalt und Ungerechtigkeit, wenn sie auftritt, nicht mehr hilflos ausgeliefert zu sein, sondern im Gegenteil Gerechtigkeit in einem, wenn auch mühevollen Prozess, wieder herstellen zu können. Die Gemeinden konnten sich so stabilisieren, restaurative Landnutzung wieder aufnehmen und so ihre Selbstversorgung sicherstellen. Da 70 Prozent der Kleinerzeuger*innen in Kenia Frauen sind, wird mit dieser Art der Friedensarbeit auch ein wichtiger Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit geleistet.

Angefangen mit Elisabeth Kaninis entschlossenem Einsatz gegen physische Gewalt wirkt aktive Gewaltfreiheit hier bis heute kraftvoll gegen strukturelle und kulturelle Formen der Gewalt. Nicht nur im Nordosten Kenias, auch im Nordwesten, der ebenfalls von der derzeitigen Dürre heimgesucht wird, sind Friedensstifter unterwegs, um Konflikte um geraubtes Vieh zu entschärfen und dafür zu sorgen, dass die jeweilige Dorfgemeinschaft selbst die Verfolgung der Täter in die Hand nimmt. So wird die Gefahr gebannt, dass aus einem Viehraub erneut ein schwerer bewaffneter Konflikt entsteht.

Wie groß die Zerstörungswucht des vor allem vom globalen Norden verursachten Klimawandels in dieser Region ist, wird angesichts der hohen Zahl der verendeten Tiere deutlich: Rund 1,4 Millionen Kamele, Rinder und Ziegen sind nach UN-Angaben in dieser Dürre allein in Kenia verendet.

1 Im Folgenden beziehe ich mich auf die Veröffentlichung "Advancing Nonviolence and Just Peace in the Church and the World", Pax Christi International, Brüssel 2020

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